
Um Sterben, Tod und Trauer geht es beim bundesweit bislang einzigartigen Masterstudiengang Perimortale Wissenschaften der Universität Regensburg. Der katholische Moraltheologe Rupert Scheule ist einer der Professoren, die Lehrveranstaltungen im Rahmen dieses Studiengangs anbieten. Im Interview spricht er über besondere Ausdrucksformen von Trauer: Trauerkarten und -anzeigen sowie die sogenannten Sterbebildchen, die bei Beerdigungen verteilt werden und an die Verstorbenen erinnern sollen.
Herr Professor Scheule, ein Kollege erzählte mir vor kurzem, dass er in Schreibwarenläden und Supermärkten vergeblich nach einer „klassischen“ Trauerkarte mit einem Kreuzmotiv gesucht habe. Ist das nur ein Einzelfall?
SCHEULE Eine Studentin der perimortalen Wissenschaften sagte mir neulich: Wenn bei dem Studium nur herauskäme, dass sie eine Trauerkarte gestalten kann, die ihr gefällt, dann wären diese vier Semester nicht für die Katz'. Viele haben offenbar Probleme mit Trauerkarten und empfinden sie entweder als banal, kitschig oder trostlos. Das bringt einen schon ins Grübeln.
Warum verschwindet das traditionell christliche Motiv, das Kreuz, von den Karten?
SCHEULE Vielleicht, weil es einfach nur den Umstand der Trauer bekräftigt und nichts hat, was über die Trauer hinausweist. Wenn wir irgendwo ein Kreuz sehen auf Papier mit schwarzem Rand, lautet die Botschaft: Da trauert jemand. Nicht: Da hat jemand Hoffnung neben der Trauer. Wir müssen also zur Kenntnis nehmen, dass das Kreuz sehr stark für die Trauer, aber nicht mehr für die Hoffnung steht, die Christinnen und Christen damit verbinden.
Was sagt das über den Umgang mit Tod und Trauer in der Gesellschaft aus?
SCHEULE Wir sind erfasst von einer großen Ratlosigkeitsdynamik angesichts des Todes. Alte Botschaften greifen nicht mehr so: der Gedanke der Gnade, um die ich beten muss. Oder die Hoffnung auf ewiges Leben. Das alles vermittelt sich halt nur mehr bedingt in einer Gesellschaft, die sich mehrheitlich nicht mehr zu einer der großen christlichen Konfessionen bekennt.


Sie sind selber auch als Diakon tätig. Welche Bedeutung hat das Kreuz auf Beerdigungen?
SCHEULE Ich habe das Gefühl, wenn ich bei einer Beerdigung ein Kreuz in die Höhe halte und dazu sage: „Das Zeichen unserer Hoffnung, das Kreuz unseres Herrn Jesus Christus sei aufgerichtet über deinem Grab“, dann funktioniert es genau in dieser gottesdienstlichen Situation noch. Es funktioniert nicht, wenn ich im Drogeriemarkt an den Ständer gehe und da eine Trauerkarte raussuche mit dem Kreuz drauf.
Wozu raten Sie denen, die ratlos vor dem Kartenständer stehen - zu den „Betenden Händen“ von Dürer?
SCHEULE Ich bin inzwischen dazu übergegangen, gar keine Trauerkarten mehr mit einem Motiv zu verschicken, sondern mit einem - unter Umständen handschriftlichen Text. Zum Beispiel aus dem Ersten Brief des Apostels Paulus an die Korinther: „Der letzte Feind der entmachtet wird, ist der Tod.“ Wenn Sie so etwas mit der eigenen Handschrift auf ein schönes Papier schreiben, dann hat das auch etwas Bekenntnishaftes. Dann sind Sie das, der zu diesem Satz aus dem Korintherbrief steht.
Von der Trauerkarte zur Traueranzeige - auch dort verschwindet das Kreuz mehr und mehr.
SCHEULE Hier ist die Kommunikationssituation eine andere. Bei Traueranzeigen wollen wir den Verstorbenen abbilden für diejenigen, die sich für ihn interessieren. Das muss möglichst authentisch wirken. Das ist etwas anderes, als wenn wir jemandem kondolieren, ihm etwas Gutes zusprechen wollen.


Aber?
SCHEULE Auch bei Traueranzeigen gibt es einen ästhetischen Wildwuchs. Da ist alles Mögliche zu finden - und nicht alles ist geschmackssicher. Mitunter beschleicht mich schon der Eindruck, dass der zu Betrauernde etwas anders als diese Motive verdient hat.
Wie sieht es bei den Sterbebildchen aus, die üblicherweise bei Beerdigungen verteilt werden?
SCHEULE Wie bei Traueranzeigen geht es darum, die Person des Verstorbenen möglichst authentisch rüberzubringen. Meist bieten Bestatter diesen Service mit an, das Ganze ist also hochgradig routiniert. Aber gelegentlich gestalten Angehörige die Sterbebildchen bewusst selber. Beim Layout hilft die Digitalisierung.
Wo wir dann schon dabei angelangt sind: Beobachten Sie im Internet Entwicklungen, die Trauerkarten und Co. möglicherweise ergänzen können?
SCHEULE Ja, die gibt es. Im Whatsapp Status beispielsweise spielt das eine wachsende Rolle. Dort haben Sie Fotos, die an den Verstorbenen und die Trauersituation erinnern. Wenn es um Trauer geht, nutzen wir offenbar die Kommunikationswege, die wir auch sonst haben. Das ist ein Indikator dafür, dass wir alle mehr als vor zehn, 20 Jahren die Trauerdimension im Leben zulassen. Eine gute Nachricht, wie ich finde.
JOACHIM HEINZ FÜHRTE DAS GESPRÄCH.