ANZEIGE

Sicherheit "Der Staat wird's schon richten"

Experten warnen: Die Deutschen müssen sich auf Großschadenereignisse einstellen - und Eigenvorsorge betreiben. Über diese und andere Bedrohungsszenarien diskutierten Experten beim RP-Forum Sicherheit in den Rudas Studios in Düsseldorf.

Behörden, aber auch die Bürger müssten sich auf Bedrohungsszenarien besser vorbereiten. Das betonten die Diskussionsteilnehmer beim RP-Sicherheitsforum. FOTOS: A. MÜLLER

Was können Behörden, Unternehmen, aber auch die Bürger selbst tun - und wie können sie für einen Notfall vorsorgen? Dr. Christian Endreß (ASW West) sieht starke Defizite in allen Bereichen, sobald es um das Thema Vorbereitung auf eine Katastrophe geht-im behördlichen Bereich wie auch bei Unternehmen, die sich oftmals nicht hinreichend vorbereiten. Ganz besonders aber auch in der Bevölkerung: „Wir leben heute in einer Vollkaskomentalität. Die Menschen gehen davon aus: Der Staat wird's schon richten." Dieses Prinzip habe sich jahrelang bewahrheitet. „Jeder geht davon aus, wenn er die 110 oder die 112 anruft, kommt innerhalb von wenigen Minuten Hilfe."

Das treffe im Alltag zu-greife aber nicht bei Großschadenereignissen oder Katastrophen. ,,Die Menschen müssen sich auf neue Szenarien einstellen, Eigenvorsorge treffen." Gerade bei einem lang anhaltenden Stromausfall, einem Blackout, müsse man davon ausgehen, I dass keine Hilfe mehr kommen kann.

Steffen Schimanski (Deutsches Rotes Kreuz) sieht seine Organisation in einer besonderen Rolle - gerade auch als Partner der Behörden. Mit Blick auf die Hochwasserkatastrophe meint er, es dürfe zwar kein ,,Weiter so!" geben, vieles habe aber auch gut funktioniert. Die Helfer der ersten Stunde seien Nachbarn gewesen, die mit angepackt hätten, betont er. ,,Wir erleben eine unfassbare Solidarität, wo Sozialraum, Quartiere, Veedel, wie man in Köln sagt, funktionieren." Die allerdings taucht bisher in keinem Notfallplan auf. „Wir haben uns viele Jahre auf Spezialisten, Fachkräfte, hoch spezialisierte Hilfeleistung durch Experten fokussiert, die aber bei großen Ereignissen an ihre Grenzen kommt."

Wenn ein Krankenhaus nur über die Luft evakuiert werden kann, ließen sich in kurzer Zeit vielleicht nicht so viele Hubschrauber organisieren, wie benötigt würden. ,,Da brauchen wir andere Herangehensweisen und müssen auch schauen: Können die Strukturen vor Ort so gefestigt werden, dass sie so lange durchhalten, bis Hilfe organisiert ist?" Da sei noch viel zu tun, zumal sich zu wenige Behörden, Unternehmen, aber auch Bürgerbewusst darüber seien, welche Gefahren potenziell auf sie zukommen. 


Stefan Bisanz (consulting plus) meint: „Wir müssen uns zum Thema Sicherheit und Ordnung bekennen." Das finde aber zu wenig statt. „Auf welche Art und Weise bereiten wir uns auf Katastrophen überhaupt vor?", fragt er. „Warum keine Intervention? Wir haben Städte in Nordrhein-Westfalen, wo sich nachts eine Doppelstreife um Ordnung kümmert. Da müssen wir eingreifen, uns bekennen und entsprechende Gelder bereithalten." In Köln beispielsweise gebe es bei der Berufsfeuerwehr 300 offene Stellen, im Ordnungsamt 180-und das schon seit Jahren.

Britta Zur, Polizeipräsidentin in Gelsenkirchen, verweist auf den ,, immensen Personalzuwachs", den die Polizei in Nordrhein-Westfalen seit einigen Jahren habe. ,,Wir haben sehr gute Einstellungszahlen. Der Polizeiberuf ist attraktiv wie wohl nie zuvor." Sie selber konnte in den vergangenen Monaten mehrere Hundert Polizeianwärter in Gelsenkirchen begrüßen. Dennoch: Gerade im Katastrophenfall sei die Zusammenarbeit enorm wichtig. Man könne nicht Polizei, Feuerwehr oder Stadt isoliert betrachten, entscheidend sind immer die Kommunikationswege." Und gute Kommunikation müsse schon vor, nicht erst in der Krise sichergestellt werden.

Daniel Schleimer (Securitas Services) wünscht sich gemeinsame Maßnahmenpläne und Konzepte, die alle Kräfte, behördliche wie private Sicherheitsakteure, bei einem Großereignis zusammenführen. Und solche Pläne auch präventiv durchzuspielen, damit ,,wir im Ereignisfall direkt und gezielt agieren können". Ein Beispiel für gemeinsame Krisenpläne von Behörden, Kommunen und privaten Sicherheitsunternehmen in NRW ist ihm nicht bekannt -,,die sollten wir aber auf jeden Fall aufbauen!" Dazu müssten allerdings auch Vorbehalte gegenüber den privatwirtschaftlichen Unternehmen abgebaut werden. 


Uwe Gerstenberg sieht ein Hauptproblem in Sachen Prävention, dass sich die Akteure oft gar nicht kennen. Es gebe schlicht keine gemeinsamen Runden von Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Dabei müsste jede Gemeinde wissen, welche ,,Player" es in der lokalen/regionalen Wirtschaft gibt und wie sie in bestimmten Szenarien helfen könnten. Deshalb plädiert er dafür, dass „Städte und Gemeinden sich fragen, was sind die Risiken und wie gehen wir mit ihnen um im Rahmen einer Risikosteuerung". Im Ergebnis werde vielleicht festgestellt, dass ein Bauunternehmer mit Baggern und Lastwagen gebraucht wird oder ein IT-Spezialist, der ein abgesunkenes Rechenzentrum wieder in Betrieb nehmen kann.

Axel Schmidt (Salto Systems) ist selbst von der Hochwasserkatastrophe betroffen. Wasserbis ins Erdgeschoss, Stromausfall, Telefonnetzüberlastung: „Wir haben über einen Tag gebraucht, um die 112 anrufen zu können", schildert er seine Erlebnisse. Wasser, Hebepumpen, Heizung - alles fiel aus, über Wochen. Obwohl er gut vorbereitet war - nur ein Notstromaggregat hatte er nicht. Nachbarn waren die ersten, die halfen, lange bevor professionelle Kräfte eintrafen. ,, Es war schon ergreifend zu sehen, wie viele Leute mit angepackt haben - bevor dann die Feuerwehr das Wasser abgepumpt hat." Es fehle an der Priorisierung der Notfälle. Es sei eben ein Unterschied, ob jemand zehn Zentimeter Wasser im Keller stehen hat, oder ob das Erdgeschoss schon überflutet ist.

Oliver P. Kuhrt (Messe Essen) sieht die Sicherheit eines Unternehmens wie seines, einen Versammlungsort vieler Menschen, gleich mehrfach bedroht durch Terror, Naturkatastrophen wie Hochwasser oder auch Cyber-Attacken. „Wir sind deshalb maßgeblich angewiesen auf eine intensive Kommunikation mit den handelnden Akteuren - bei der Stadt, bei Institutionen. Aber ohne die Privaten geht es auch nicht. Für ein Unternehmen unserer Größe ist es wichtig, dass Pläne erstellt werden, die sicherstellen, dass wir sehr schnell auch autark handeln können."

Mehr zum Thema