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Sicherheit Wenn aus dem Hahn kein Wasser mehr kommt

Im Katastrophenfall geht mitunter nichts mehr - kein Strom, kein Telefonnetz, keine Lebensmittel, kein frisches Trinkwasser. Ist die Bevölkerung Deutschlands ausreichend auf solch einen Notfall vorbereitet?

Weggeschwemmte Leitungen und Rohre im Ahrtal: Eine Katastrophe wie die Flut im Juli kann die Versorgung der Bevölkerung gefährden. Um sich auf solche Fälle vorzubereiten, müsse mehr getan werden, sagen Experten. FOTO: DPA

Die Bevölkerung, findet Steffen Schimanski (Deutsches Rotes Kreuz), muss sensibilisiert werden für das Thema Risiko. ,,Sauberes Wasser, das ich erhitzen kann, das ich trinken kann, ist lebensnotwendig. Aber das Bewusstsein, dass das Wasser plötzlich nicht mehr aus dem Hahn kommen könnte oder ungenießbar, ja vielleicht gefährlich ist, weil es mit Krankheitskeimen versetzt ist, scheint verloren gegangen zu sein. Da ist Aufklärung und Kommunikation nötig." Insgesamt seien wir in Deutschland gut auf Katastrophenfälle vorbereitet-schwierig werde es aber, wenn sie sich großflächig ausbreiten,,, wenn das Hochwasser eben nicht mehr im Keller steht, sondern im zweiten Stock". Deshalb sei es unfassbar wichtig, solche Szenarien von Anfang bis zum Ende zu denken. Und da müssen alle an einen Tisch, die wir dafür brauchen." Er plädiert dafür, gesamtgesellschaftliche Ressourcen in Risikoanalysen und die Bevölkerungsschutzplanung einzubinden und vor allem Bewusstsein zu schaffen - zum Beispiel durch Aufklärungskampagnen zu Bevölkerungsschutz und Prävention sowie Integration in den Schulunterricht.

Daniel Schleimer (Securitas Services) hat zu Hause ein Regal, in dem sich die notwendigen Dinge befinden, um zehn Tage in einem Katastrophenfall zu überstehen. „Höchste Bedeutung hat dabei das Wasser", sagt der erfahrene Sicherheitsexperte. Das Bundesamt für Katastrophenschutz hat eine Persönliche Checkliste" herausgebracht, die aufführt, welche Lebensmittel in welcher Menge man vorrätig haben sollte, um im Falle einer Katastrophe wie Hochwasser, Stromausfall oder Sturm zehn Tage ohne Einkaufen überstehen zu können. Sie ist im Internet abrufbar unter www.bbk.bund.de. Der Haushaltswaren-Discounter Kodi geht hier mit positivem Beispiel voran und hat 2,5 Millionen Haushalte mit der Empfehlungsliste für Notfälle versorgt.

Christian Kromberg, Ordnungsdezernet der Stadt Essen, berichtet, dass die Stadt nicht auf ein solches Zehn-Tages-Szenario vorbereitet ist - was auch auf alle anderen Großstädte in Deutschland zutreffe. Im Katastrophenfall bedürfe es Hilfe von außen. Wobei im Ruhrgebiet der Strom schon wegen der ,,Ewigkeitslasten" des Bergbaus funktionieren muss: Die Pumpsysteme unter der Erde müssen weiterlaufen, damit das Grubenwasser in ausreichender Tiefe gehalten werden kann - ansonsten würde es zu massiven Überschwemmungen kommen. Allerdings strebt Essen die „resiliente Stadt" an und ist auf verschiedene Szenarien vorbereitet. So werden in Essen beispielsweise Straßenbäume gepflanzt, die auch Stürmen trotzen können. Oder es wird durchgespielt, was nach einem Cyberangriff auf die Stadtverwaltung passiert. Auch das Hochwasser ist im Stadtrat ein großes Thema. Kromberg räumt aber auch ein: ,,Das Ungewisse bleibt, und damit auch die Notwendigkeit zu improvisieren. Auf alle Szenarien werden wir nicht vorbereitet sein können." Wobei jede Kommune selbst die Verantwortung für den Katastrophenschutz trägt.

Die Polizei sei auf mehrtägige Szenarien wie die Hochwasserkatastrophe ebenfalls nicht vorbereitet, sagt Britta Zur, Polizeipräsidentin in Gelsenkirchen. Wir bekommen aber in solchen Fällen immer Unterstützung von umliegenden Kreispolizeibehörden." Fällt der Notruf aus, werden die Anrufe automatisch an eine andere Polizeibehörde geleitet.

Natürlich sei auch die Polizei sehr stark von einer funktionierenden Stromversorgung abhängig und müsse sich der Frage stellen, was passiert, wenn der Strom über eine längere Zeit ausfällt. Allerdings sind Notstromaggregate vorhanden, Hilfe von anderen Behörden würde ebenfalls kommen. ,,Die Polizei von Gelsenkirchen wäre also auf keinen Fall von der Außenwelt abgeschnitten!"

Stefan Bisanz, consulting plus, fordert, dass Risikogruppen in Katastrophenszenarien betrachtet werden - was kann passieren, was darf nicht passieren? ,,Ich glaube, das passiert nicht, weil wir in vielen Bereichen unseres Lebens immer schnelllebiger werden. Informationen werden als Ware gehandelt. Und so ist das auch mit den Risikoszenarien - das Leid ist offenbar nicht groß genug, dass Risiken Präsenz haben." Prävention werde nicht betrieben,,, wir reagieren nur." Wenn eine Region von einer Krise betroffen sei, bekämen das andere maximal noch über die Nachrichten mit".

Dr. Christian Endreß meint: „Wir müssen die Bevölkerung noch viel stärker für solche Szenarien sensibilisieren." Man müsse zudem Selbsthilfefähigkeiten und Nachbarschaftshilfe stärken. Wichtig sei, die Bevölkerung als Partner und selbstständigen Akteur innerhalb der Sicherheitsstrukturen zu betrachten und sie in die Notfallplanung einzubeziehen.

Insgesamt Deutschland seien wir in sehr reaktiv. Es gelingt uns nicht, vor die Lage zu kommen, Risiken zu antizipieren." Derzeit etwa mache man sich Gedanken darüber, wie man Menschen bei Schadenslagen rechtzeitig per SMS warnen könne. „Dieses System - unter cell broadcasting bekannt - gibt es seit Jahren - und es ist in anderen Ländern bereits erfolgreich in das nationale Warnsystem implementiert."

Axel Schmidt, Salto Systems, berichtet, dass die Notstromversorgung mangelhaft ist - Notstromaggregate seien kaum verbreitet. Gelernt hätten vor allem die, die von einer Katastrophe betroffen waren. ,,Die nicht betroffen waren, werden ohne die notwendige Sensibilisierung in die nächste Katastrophe hineinlaufen." Und was Sirenen angeht: ,,Außer auf Facebook fragt keiner: Was ist denn los? Müssen wir irgendetwas machen?"

Meist herrsche bei Probealarm der Gedanke vor ,,Wird schon nix passieren“ – und falls es wirklich wichtig ist, wird schon jemand anrufen. Bei Evakuierungsübungen blieb jedenfalls bisweilen die Hälfte der Belegschaft in ihren Büros ...

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