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Unternehmen am Niederrhein „Gefühlte Inflation liegt schon jetzt über zehn Prozent", so der Vorstandsvorsitzende Guido Lohmann von der Volksbank Niederrhein

INTERVIEW MIT GUIDO LOHMANN

Finanzexperte Guido Lohmann sieht erst mal kein Ende der Inflation, erwartet aber langfristig auch positive Effekte durch Krise. Foto: Armin Fischer

Guido Lohmann gehört zu den Bankvorständen, die sich zu volkswirtschaftlichen Fragen äußern und auch Prognosen abgeben. Weil der Chef der Volksbank Niederrhein damit in der Vergangenheit oftmals richtiglag, wird er in der aktuellen Krise oft gefragt, wie er die künftige Entwicklung einschätzt. 

Herr Lohmann, liegt die Inflation bei 8,1 Prozent, wenn 2021 ein Liter Sonnenblumenöl 1,49 Euro kostete und jetzt für 3,99 Euro zu haben ist?
Guido Lohmann:
Die Preise für bestimmte Produkte haben sich innerhalb eines Jahres mehr als verdoppelt, zum Beispiel für Sonnenblumenöl oder Olivenöl. Insgesamt sind die Preise für Lebensmittel sehr stark gestiegen. So sind die Preise für Dünger und Treibstoff seit dem Ukraine-Krieg regelrecht explodiert, was sich dann wieder direkt auf die Preise für Getreide und landwirtschaftliche Produkte auswirkt. Damit werden zum Beispiel Mehl und Brot teurer, zumal eine Bäckerei, wie aber nahezu die gesamte Lebensmittelindustrie, in der Produktion viel Energie verbraucht, die momentan exorbitant mehr kostet als noch vor wenigen Monaten.

Warum liegt die Inflation im Juli dann unter der Marke von 10,0 Prozent?
Lohmann:
Die gefühlte Inflation liegt über dieser Marke, die wirkliche aber (noch) nicht. Alle Konsumenten haben eine subjektive Vorstellung von Inflation. Sie orientieren sich bei ihrer gefühlten Inflation an Dingen, die für sie von großer Bedeutung sind wie etwa der Benzinpreis. 2,10 Euro jetzt sind 50 Prozent mehr als 1,40 vor einem Jahr. Sie schauen auf bestimmte Lebensmittel, zum Beispiel ein halbes Pfund Butter und einen Liter Milch, die 50 Prozent mehr kosten als vor einem Jahr oder orientieren sich an dem Preis für ein Brötchen, der gerade an der 40-Cent-Marke kratzt. Die statistische Inflation wird dagegen anhand eines fiktiven Warenkorbes berechnet, der natürlich nicht genau dem Konsumverhalten des Einzelnen entspricht, sondern mitunter eher ein verzerrtes Bild wiedergibt.

Ausgaben für den Verkehr wurden künstlich gesenkt, indem vom Staat ein Zuschuss von 30 Cent je Liter floss. Das Neun-Euro-Ticket hat ebenfalls die Ausgaben für den Verkehr reduziert. Jetzt kommt ein Energiekostenzuschuss von 300 Euro dazu. Wird so die Inflation vom Staat bewusst gedrückt?
Lohmann:
Das Ganze wird dazu führen, dass mit Ende der staatlichen Subventionen in Form des 9-Euro-Ticktes und Tankrabattes die Inflation wieder deutlich ansteigen wird. Im Oktober könnte gar die Marke von 10,0 Prozent überschritten werden. Inflation trifft Menschen mit geringem Einkommen besonders hart. Sie müssen merken, dass ihnen vom Staat geholfen wird. Das ist wichtig, um unsere Gesellschaft zusammenzuhalten. Eine Energiepauschale, die auch Menschen mit hohem Einkommen erhalten, ist nicht der richtige Weg. Die am Wochenende verabschiedeten Hilfen gehen zum Großteil in die richtige Richtung, helfen endlich auch Rentnern und Studenten. Dagegen vermisse ich bis heute klare und unbürokratische Hilfen für unseren Mittelstand, die kleineren Betriebe und Unternehmen, die das Rückgrat unserer Wirtschaft darstellen. Die haben schon unter der Corona-Pandemie besonders stark gelitten und müssen jetzt schnellstens spüren, dass Politik und Gesellschaft für sie einstehen.

Würden Sie die Situation als Krise bezeichnen?
Lohmann:
Ja, wir sind ohne Zweifel in einer Krise, die nach den Spätfolgen der Pandemie ganz maßgeblich durch den Aggressionskrieg Russlands gegen die Ukraine entstanden ist. Ob es im Laufe des Jahres 2022 oder 2023 eine Rezession gibt, also einen Rückgang des Wirtschaftswachstums, lässt sich noch nicht vorhersagen, ich befürchte es aber. Als Volksbankvorstand spreche ich mit vielen Unternehmern. Die Angst vor einer Rezession ist deutlich zu spüren. Es kommen eine Reihe von ungünstigen Entwicklungen zusammen. Neben der Energiepreisexplosion und der massiven Inflation schlägt der von mir seit Jahren immer wieder angeführte demografische Wandel jetzt massiv zu. Mitarbeiter aus geburtenstarken Jahrgängen gehen in den Ruhestand und aus geburtenschwachen Jahrgängen rücken nicht genügend Arbeitskräfte nach. Dies wird für mich das gravierendste Problem der deutschen Wirtschaft in den nächsten zehn Jahren sein. Dabei erschwert der leider ungeminderte Trend zur Akademisierung um jeden Preis die Gewinnung und Ausbildung dringend benötigter Fachkräfte in vielen Branchen mehr und mehr. Das wird uns definitiv Wirtschaftswachstum und damit Wohlstand kosten.

Krisen hätten neben negativen Seiten aber auch positive, heißt es in vielen volkswirtschaftlichen Theorien.
Lohmann:
Eine Krise kann Kräfte freisetzen. Das wird auch in dieser Krise so sein. Es wird mehr Strom über Windkraft und Photovoltaik erzeugt werden. Mehr Anlagen werden Gas, Treibstoffe und Brennstoffe aus Biomasse produzieren. Das Thema ,,Grüner Wasserstoff" wird endlich die Dynamik erhalten, die erforderlich ist. Die Menschen werden durch die momentane Krise gezwungen, weniger Energie zu verbrauchen und Produkte nachhaltiger zu nutzen. Sie werden ihre Mobilität überdenken und auch ihre Ernährung. Das alles ist nicht leicht, weil liebegewonnene Gewohnheiten und Dinge aufgegeben werden müssen. Doch nur wenn wir mehr Energie selbst erzeugen und weniger verbrauchen, kann Deutschland sich aus der vorhandenen Energieabhängigkeit befreien.

Aber so weit ist es noch nicht. Zurzeit befürchten die Menschen, im nächsten Jahr könnte die Inflation wieder um die zehn Prozent liegen, weil zum Januar 2023 die Abschlagszahlen für die Nebenkosten steigen.
Lohmann: Ja, die nächsten 24 Monaten werden uns allen einiges abverlangen. Das wird kein Selbstläufer. Weil die Preise stark steigen, werden sich die Gewerkschaften für deutlich höhere Löhne und Gehälter starkmachen. Höhere Löhne und Gehälter wirken sich wiederum auf die Preise aus. Das wird zu einer auch in 2023 angespannten Situation führen. Die Europäische Zentralbank hat viel zu spät damit angefangen, den Leitzins zu erhöhen. Die US-Notenbank war schneller. So wurde der Euro gegenüber dem Dollar abgewertet. Der Euro-Raum importiert Inflation, weil zum Beispiel Erdöl, das in Dollar abgerechnet wird, durch die Euro-Abwertung teurer wird.

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